Samstag, 15. Juli 2017

Der zerstörte Marienaltar von St. Clemens

Der zerstörte Marienaltar von St. Clemens
In der 3. Ausgabe der "Süchtelner Heimatblätter" 1965 hier wird über den Marienaltar im nördlichen Seitenchor von St. Clemens berichtet. Abgedruckt ist der Kauf- und Fertigungsvertrag "Über die Anfertigung und Aufstellung eines Altares für die Pfarrkirche zu Süchteln" vom 27.06.1863
zwischen der Pfarre und den Bildhauern.

Was den Leser von heute regelrecht aufschrecken lässt, sind die Bilder des Marienaltars, welcher früher so ganz anders aussah. Siehe Bilder im Vergleich früher/heute:


 Entwurf für den Marienaltar, St. Clemens1863

Marienaltar, St. Clemens 2017


Der Artikel von 1965 geht nur in einem Satz auf die gravierenden Veränderungen ein, dort heißt es: "Der im Vertrag genannte Altaraufsatz wurde in den 1950er Jahren beseitigt, erhalten blieben die thronende Muttergottes und die seitlichen Figurengruppen der Verkündigung und der Heimsuchung."

Die thronende Muttergottes ist heute auf dem steinernen Seitenaltar in St. Clemens zu sehen, die anderen Figuren sind - zum Teil schwer beschädigt - im Pfarrbüro aufgestellt. Leider ist auch die Hand mit Zepter der Muttergottes heute in St. Clemens beschädigt, in den Fotos weiter unten gut zu erkennen. Die hölzernen Schnitzereien des eigentlichen Marienaltars sind verschwunden. 
 
Alter Marienaltar im Detail, St. Clemens Süchteln



Schnitzwerke von großer künstlerischer Fähigkeit. Schnitzwerke, die viel vom christkatholischen Glauben berichten, wurden einfach "beseitigt"? Das dürfte die Menschen, die damals an der Finanzierung des Marienaltars mitgewirkt haben, oder die jahrzehntelang hier ihre Gebete verrichteten, traurig stimmen. Was seit dieser Zeit in der Katholischen Kirche passierte, wird heute gerne übersehen oder als eine Befreiung propagiert.

Finanzierung Marienaltar St. Clemens, Süchtelner Heimatblätter 1965
 
Ikonoklasmus der Moderne
Genau auf diesen Aspekt der jüngeren Kirchen- und Kunstgeschichte geht der Autor René Franken in seinem sehr beeindruckenden bebilderten Buch "Kirchenbau, Kulturkampf und Vatikanum", Eine Bau- und Entwicklungsgeschichte der Pfarrkirche St. Cornelius in Viersen / Dülken 2008 ein.
Dort schreibt der Autor über die Zeit der 1950er Jahre im Kapitel "Radikalumgestaltung 1957":

"Die Folgen der neuen liturgischen Strömungen, die im zweiten Vatikanischen Konzil besondere Geltung bekamen, waren für die Dülkener Pfarrkirche verheernder als die Zerstörungen des zweiten Weltkrieges. Der damalige Pfarrer und Dechant Rutge dachte in diesem Sinne ausgesprochen fortschrittlich, jedoch ohne Rücksicht auf die Kunst der Neugotik. Allgemein war der Ruf des Baustils und der damit verbundenen Kunstrichtung bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts ausgesprochen schlecht. So war die Umgestaltung nach modernen, liturgisch-künstlerischen Gesichtspunkten im Sinne des Zeitgeistes erfolgt." 

Das oben erwähnte Buch erschien 2008 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Fertigstellung der Pfarrkirche St. Cornelius in Dülken, eine der größten Kirchen im Bistum Aachen . Zu diesem Anlass gab es in der Kirche St. Cornelius ein Ausstellung, in der unter anderem berichtet wurde, dass der oben genannte Dechant selbst Hand anlegte bei der Beseitigung der Hoch- und Seitenaltäre seiner Kirche und diese mit der Axt in der Hand vor der Kirche klein geschlagen hat.

Eine ähnliche Geschichte gibt es auch aus der Kirche St. Vitus in Oedt zu berichten, dort wurde der Marienaltar abgebaut und darf heute im dortigen Heimatmuseum im Keller sein Dasein fristen, immerhin, er wurde nicht zerstört. 

Der Blick nach Dülken und Oedt zeigt, dass der Umgang mit dem Süchtelner Marienaltar weder dem Holzwurm geschuldet war, noch dazu diente, dem Kunstverständnis der 1950er Jahre auch Raum zu geben. Nach dem Motto "Weniger ist mehr" wurde beseitigt, was nicht ins moderne Konzept passte. Dass dies aber ein Trugschluss ist, zeigt die dramatische Lage der katholischen Kirche heute.
Was damals mit dem kleinen Marienaltar begann, wird heute mit der Entwidmung, "Renovierung" und  Umgestaltung in Urnenkrichen hier bis hin zur Schließung von Kirchen und Kapellen fortgeführt hier

Man kann ohne Untertreibung von einem Ikonoklasmus der Moderne innerhalb der katholischen Kirche sprechen, der bis heute unvermindert anhält bis in die höchsten Kirchenkreise. Es ist bemerkenswert, dass dies schon so offensichtlich weit vor dem Beginn des zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) und der daraus resultierenden Liturgiereform hier bei uns begann.


Weitere Verbindung zwischen Süchteln und dem Kölner Dom
Kommen wir besser zurück in die Kirche St. Clemens in Süchteln und zur Muttergottes! Nur wenigen ist bekannt, dass die Muttergottes in St. Clemens vom Bildhauer bewusst angelehnt ist an das bekannte Marienbild "Altar der Stadtpatrone" im Kölner Dom.



Altar der Stadtpatrone Stefan Lochner 1442, Kölner Dom

Dieser von Stefan Lochner 1442 gemalte Flügelaltar ist das bedeutendste Werk der spätgotischen Kölner Malerschule. Es schafft eine weitere Verbindung zwischen Süchteln und dem Kölner Dom, in dem auch die in Süchteln verehrte Heilige Irmgardis ihre letzte Ruhestätte gefunden hat.

(Wer das geheimnisvolle Bild im Kölner Dom genauer betrachten will, muß diesem Link folgen hier, dort dann zum Bild "Jesus, Maria und ein Einhorn". Wer findet das Einhorn?)

Der Bildhauer der Süchtelner Muttergottes übernimmt die thronende Muttergottes des Stephan Lochner bis in die Einzelheiten des Faltenwurfs, gibt sie jedoch entsprechend spiegelverkehrt wieder. Das Gewand der Muttergottes ist höher geschlossen und die Blöße des Kindes bedeckt.

Muttergottes, St. Clemens Süchteln


Das Christuskind trägt in der linken Hand die Weltkugel, während die Muttergottes in der rechten Hand das Zepter hält. Dadurch erscheint die Gruppe stärker als Einzelbildwerk charakterisiert. Die starke Symmetrie der Komposition bestimmt auch die Verteilung der Gewandfalten. Die Kopfform, die hohe Stirn, der Haaransatz und das bis auf die Schulter herunterfallende Haar schließen jedoch eng an das Lochnersche Vorbild an. Selbst die farbige Fassung des Bildwerks wurde der Farbgebung des Dombildes angeglichen.

Muttergottes, St. Clemens Süchteln
Die Süchtelner Madonna ist im 20. Jahrhundert teilweise übermalt worden, aber die alte Fassung blieb darunter erhalten. Gewand und Umhang sind blau mit grünem Futter und vergoldetem Saum. In der Komposition des Dombildes nimmt das Kind auf dem Schoße Mariens die Mitte ein, dagegen erscheint das Christuskind der Süchtelner Madonna unmittelbar auf den Beter bezogen. Die vom Dombild abweichende Anordnung des Kindes entspricht dem plastischen Aufbau, in dem es ganz in den Umriß der Mutter eingeschlossen ist. Sein Segensgestus nimmt die Mitte der Gruppe ein.

Enden wir hier mit dem Englischen Gruß:
Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum.
  Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir.
Maria Verkündigung - Alter Marienaltar Süchteln
Maria Verkündigung - Alter Marienaltar Süchteln
Elisabeth, Maria Heimsuchung - Alter Marienaltar Süchteln

Maria Heimsuchung - Alter Marienaltar Süchteln